"WechselJagd" 

 

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Dies war nicht der Tag von Athina Kassotaki. Als die Griechin das Grundstück der Villa Wolff im Westen Stuttgarts betrat, in der sie dreimal in der Woche putzte, war es beängstigend still. Nicht einmal die Vögel im Park zwitscherten.

Normalerweise begann die junge Frau erst um acht Uhr zu arbeiten, jetzt war es kurz nach sieben, doch hinter ihr lag eine unruhige Nacht. Sie hatte schlecht geträumt, war mehrmals aufgewacht und hatte sich im Bett hin und her gewälzt. Um fünf Uhr war sie aufgestanden, hatte geduscht, einen starken Kaffee getrunken und war zur Bushaltestelle gegangen. Aber auch jetzt, als sie durch den Park ging, waren Körper und Geist noch nicht ganz in der Gegenwart angekommen.

Hohe Buchen, Ahorn- und Kastanienbäume bestimmten das Bild des Parks. Breit gefächerte Eibenhecken verdeckten große Teile der hohen Steinmauer, die das Grundstück umfasste. Im südlichen Teil des Parks duckte sich hinter zwei schlanken Birken ein kleines Fachwerkhaus aus grauem Naturstein. Etwa fünfzig Meter weiter in Richtung Villa stand ein Pavillon mit einem kupfernen Kuppeldach.

Ein gebrochener Ton drang in den Morgen. Gedämpfte Stimmen ertönten außerhalb der Mauer. Stille.

Athina Kassotaki fröstelte. Der Himmel erschien ihr wie ein riesiger Luftballon, der bedrohlich über ihrem Kopf schwebte. Villa und Park konnten ihr an diesem Tag nicht die kraftvolle Idylle vermitteln, die sonst von ihnen ausging.

Als ihr Blick über die Fenster im Erdgeschoss der cremefarbenen Villa schweifte, stellte sie fest, dass zwar der Vorhang das Fenster verdunkelte, die Rollläden im Schlafzimmer des Hausherrn aber hochgezogen waren. Das stand im Widerspruch zu den Schlafgewohnheiten von Josef Maria Wolff. Er war offensichtlich nicht daheim.

Schweren Schrittes ging die junge Frau auf den Seiteneingang der Villa zu, schloss die Tür auf und stapfte an der Küche vorbei die Treppe zur Putzkammer hinunter. Mechanisch griff sie nach dem Staubsauger, nahm einen Eimer aus dem Regal und legte Putztücher und Reinigungsmittel hinein.

Sie beschloss, die Abwesenheit des Hausherrn zu nutzen und sein Zimmer zuerst sauber zu machen.

Aber irgendetwas war anders als sonst. Auf dem Weg zum Schlafzimmer nahm ihre Nase einen süßlichen Geruch wahr, der nicht zu den Räumen passte, eher zur Vorratskammer, wo Josef Maria Wolff, der ein leidenschaftlicher Jäger war, manchmal nach der Jagd achtlos seine Beute auf den Boden warf: Rebhühner, Fasane, Stockenten oder Kaninchen. Der Geruch alarmierte sie. Adrenalin schoss in ihr Blut und verscheuchte die stumpfe Müdigkeit. Ihr Herz begann wild zu schlagen, in ihren Ohren rauschte es, in den Schläfen begann es zu pochen, ihr Atem wurde schnell.

Sie klopfte an die Schlafzimmertür – konzentriert und wach, jederzeit bereit, den Rückzug anzutreten. Keine Antwort. Sie wiederholte das Klopfzeichen. Als sie auch dann noch keine Stimme hörte, öffnete sie vorsichtig die Tür, um einen Blick in das Zimmer zu werfen. Hastig presste sie die Hand auf Nase und Mund, da der süßliche Geruch noch beißender geworden war. Durch einen Spalt zwischen den Vorhängen am Fenster drang ein gleißender Lichtstrahl, in dem winzige Staubpartikel wie ein Mückenschwarm tanzten. Das Schlafzimmer schien menschenleer zu sein, das Bett unbenutzt.

Als ihre Augen sich jedoch an das bizarre Licht gewöhnt hatten, stockte ihr vor Entsetzen der Atem, gewährte ihr das Zimmer plötzlich eine Gegenwart, von der sie sekundenlang nicht begriff, dass sie wirklich war.

Sie sah einen nackten männlichen Körper regungslos vor dem Biedermeiersekretär liegen. Neben dem Kopf des Mannes hatte sich eine dunkle, klebrige Blutlache gebildet, die sich scharf vom hellen Parkettboden abhob. Ein toter Vogel, von dem offensichtlich der Verwesungsgeruch ausging, lag mit gespreizten Flügeln neben dem Kopf des Mannes. Mit seiner ledernen, blauviolett angelaufenen Haut sah der Mann, der seltsam verrenkt auf dem Boden lag, hässlich und obszön aus.

Eine dumpfe Angst packte die junge Frau, und sie vermischte sich mit den Traumbildern der vergangenen Nacht, in denen ihr der Tod in Gestalt einer zahnlos grinsenden Greisin begegnet war.

Athina Kassotaki wollte um Hilfe schreien, doch ihre Kehle war wie zugeklebt. Nur ein leises, gequältes Wimmern kam über ihre Lippen.

Die Zeit verkürzte sich zu einem Wimpernschlag, und sie sank in einer grotesken Zeitlupenbewegung ohnmächtig zu Boden.